Rezension: Gerald Hüther - Männer

Wiedergelesen und zur Lektüre empfohlen!

Gerald Hüther, Männer                  Vanderhoek & Ruprecht 2009ISBN 978-3-525-40420-1

Denken basiert immer auf Emotionen, auf dem tief abgelagerten Erfahrungen von Schmerz und Tod, Erwartung und Hoffnung. Unser Gehirn ist in der Fleischlichkeit gegründet, und würde man es auf einen Computer überspielen, wäre es eben kein Gehirn mehr, sondern ein Programm, das lineare Routinen herunterspielt.   Matthias Horx, Die Zukunft wagen

 

Lineare Routine konkret:

Das Alphabet vom Computer hat nur zwei Buchstaben: 0 und 1 – also: ja oder nein. Das sind Bits. Der Programmierer kann das 0/1-Alphabet gar nicht lesen. Erlässt den Computer arbeiten mit Bytes, das sind Sequenzen – jede Sequenz hat acht Bits, also 00100110 oder 10101110 oder so. Es gibt 256 solcher Sequenzen. Man hat sich geeinigt auf ihre Reihenfolge und Bedeutung. Aber der Programmierer ‚weiß‘ nicht etwa das digitale Symbol z.B. für ‚m‘ auf der Tastatur, auch nicht, ob 00100110 ein Ausrufungszeichen ist oder ein Programm oder ein Unterprogramm. Er kann sein eigenes Programm nicht ‚lesen‘ wie ein analog geschriebenes Buch. Neben ‚digital‘ und ‚analog‘ gibt es aber auch noch ‚real‘. Zum Beispiel: die digital gerechnete, gezielt eingesetzte Bombe, die eine feindliche Fregatte im Hafen zerstört, trifft – ungeplant, aber real –auch das Krankenhaus am Ufer. Eben ein „Kollateral-Schaden“. Leider. Bedauerlich ... Wenn aber ein Fehler im Programm auftaucht, kann der Programmierer nicht etwa nach-denken, wo der Fehler ist, er kann das Programm nur ausbessern – mit Und-Schaltung oder Oder-Schaltung oder Nicht-Schaltung oder so. Programme können immer nur größer werden. Oder zusammenbrechen.

Was passiert, wenn K/I zusammenbricht?

Gerald Hüther ist Biologe und Gehirnforscher. Eigentlich ist dies ein Buch für Männer, schreibt er. Er will sie ermutigen. Das Problem ist nur, dass Frauen sehr viel mehr Bücher lesen als Männer. Also bittet er seine Leserinnen, sein Buch an den Mann zu bringen. Ob meine Rezension dazu beitragen kann? Vielleicht, wenn ich beichte: die Lektüre hat mich großzügiger gemacht. Ich verstehe: Männer sind das schwache Geschlecht und sein Gehirn – so der Untertitel von Hüther.

 

Wie funktioniert das Gehirn genau? Wie funktioniert das Leben? Als Wissenschaftler weiß Hüther, wovon er spricht –und stellt das mit vielen nachvollziehbaren Beispielen dar, angefangen bei den Einzellern in einem Glas, denen die Nahrung knapp wird.

 

Das Gehirn des Menschen ist einer Baustelle vergleichbar, auf der zeitlebens an- und umgebaut wird, je nachdem, wie wir es benutzen. Das Gehirn ist nicht festgelegt durch die Chromosomen XY, verantwortlich für viel Testosteron, wenig Östrogen und Progesteron – bei männlichen Embryonen – oder eben XX: mehr Östrogen und Progesteron bei Mädchen. Das ist aber der einzige Unterschied bei Männern und Frauen in der Ausstattung mit Genen, also ausgezählt: 12 von ca. 30 000 Gene ticken verschieden. Sie machen, dass der kleine Junge mit etwas mehr Antrieb auf dem Weg ist, also waghalsiger, also verletzlicher und schutzbedürftiger als ein Mädchen. Viel Testosteron wirkt sich aus in Körperformen und Gehirnstrukturen – tatsächlich denken Männer und Frauen auf anderen Denkbahnen. Aber, wie gesagt: Festgelegt sind Gehirnstruktur und Inhalte der Vorstellungen damit nicht. Das Gehirn des Menschen ist einer Baustelle vergleichbar, auf der zeitlebens an- und umgebaut wird, je nachdem, wie wir es benutzen.

Weshalb werden Männer so, wie sie sind? Wie wirken sich zu viel Antrieb, zu wenig Stabilität und die ständige Suche nach Halt im Zusammenleben aus? Hüther beschreibt den Prozess der Baustelle Mannwerdung in 12 Stationen – vom Embryo bis zum alten Mann: ein Pendeln zwischen eigenen Bedürfnissen und Anpassung an vor-gelebte Vorbilder, zwischen Beglückung und Dilemma – beeinflusst von selbstbewussten Entscheidungen und beeinflussbar (beeinflussbar! meine Damen! – aber eigentlich wissen wir Frauen das ja. Wir tun nur so, als wären wir allezeit Opfer! Aber das gehört schon in das Buch über das Gehirn von Frauen, das Hüther sich wünscht.)

Hüther beschreibt Realität. Er gibt keine Ratschläge. Wir aber hätten so gerne möglichst sachlich erklärt: „Was ist denn nun richtig? Was sollen wir tun?“ Er antwortet: „Das eigene Denken anpassen an sich verändernde Lebensbedingungen – der Klimaveränderung zum Beispiel!“

Das Gehirn kann das bis – ins hohe Alter! –, aber eben nur, wenn es nicht lineare Routinen herunterspielt, sondern selbstbewusst denkt, basiert auf Emotionen, auf den tiefabgelagerten Erfahrungen von Schmerz und Tod, Erwartung und Hoffnung. Da, wo wir emotional beteiligt sind, da passiert es!

Darum schreibe ich diese Rezension– und hoffe auf Veröffentlichung! [Sehr gern, Frau Voigt! (Anm. d. Red)]

„Das älteste männliche Rollenbild des tapferen Kriegers hat inzwischen (…) seinen Glanz (…) eingebüßt“ (S. 78),„ein Auslaufmodell“! (S.83) Das schrieb Hüther 2009.

Darin formuliert er die Überzeugung von uns Nachkriegskindern, aufgewachsen mit nicht anwesenden Vätern– ‚gefallen‘ oder traumatisiert, also unfähig zu emotionaler Teilnahme. So unfähig zu emotionaler Teilnahme wie die Befehlshaber und Generale im Krieg im Hinterland!

Diese Überzeugung ist auch heute, 2024, also fünfzehn Jahre später „kriegstüchtig“!

Die Waffen werden immer perfekter– auf allen Seiten des Krieges. Die ‚tapferen Krieger‘ verkriechen sich heute in gepanzerten Särgen namens „Marder“, vielleicht lästern die sechs oder zehn jungen Männern im Dunkeln ihre Todesangst ja weg, bevor eine Drohne das Blech aufreißt und ihre Verletzlichkeit dem Feuer aussetzt!

 

„Kriegstüchtig“ ist anders, ist: umdenken. „Kriegstüchtig“ sind nicht die Mitmacher und Töter. „Kriegstüchtig“ ist Überleben ohne und gegen die real existierenden Waffen und die Waffennarren, gegen die Machtstrukturen im Gehirn eines Trump, eines Putin, eines Nethanjahu oder bei den Vordenkern der Hamas – oder gegen die Machtstrukturen in der eigenen Familie, gleichviel. „Gehorchen“ fängt in der Familie an. Das Wagnis des Lebens ist manchmal lebensgefährlich. Heldinnen sind die Frauen, die im Iran ohne Kopftuch auf die Straße gehen (gingen?).

Manchmal gibt es leisere Signale der selbstbewussten Veränderung. Dazu möchte Hüther mit seinem Buch die Männer ermutigen.

Das Buch ist hier zu finden: Buch7 Hüther, G: Männer

Titelfoto: Buch7

Anmerkung der Redaktion:

Herzlichen Dank für diese Rezension.
Wer mehr von Heide Marie Voigt lesen möchte, findet hier eine Auswahl ihrer Veröffentlichungen.

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